Dynamic Facilitation – geschichtlich gesehen

»In echt verfahrenen und schwierigen Situationen nämlich – Situationen, in denen ein schwieriges Thema gelöst werden muss und in denen möglicherweise niemand mehr daran glaubt, dass es hier überhaupt eine Lösung geben könne, in denen es aber dringendst einer Lösung bedarf und in denen aufgrund der Komplexität eine differenzierte Dokumentation des gesamten Lösungsprozesses sehr hilfreich ist – in einer solchen Zwickmühlen-Situation würden wir Dynamic Facilitation wählen. Und nichts anderes.«

Matthias zur Bonsen, Dynamic Facilitation Trainer | zur.bonsen@all-in-one-spirit.de

Ziel von Dynamic Facilitation ist das gemeinsame Ergründen von Handlungsspielräumen für vertrackte, emotionsgeladene Probleme.

Dynamic Facilitation, kurz D.F.  – scheint dafür bestens geeignet zu sein. Das sogenannte »Choice Creating«, also das kollektive Denken in Möglichkeiten zur Lösung eines Problems, findet da statt, wo eine Gruppe gemeinsam nach der Dynamic Facilitation Methode an Problemen arbeitet. Dabei setzt ein kollektiver Denkenprozess ein, ganz anders als in normalen Diskussionen oder Debatten. Es ist nicht mehr länger nötig Positionen zu verteidigen oder jene der gegenpartei nieder zu machen. Vielmehr werden die Beteiligten die Argumente der anderen nachvollziehbar und sie werden befähigt, den anderen Gruppenmitgliedern mit Empathie gegenüberzutreten. Mögliche Verletzungen, Frust, Wut, Angst und Kränkungen, die einer Problemlösung unverrückbar im Weg stehen, werden dank D.F, überwunden. Das was heraus muss, das was gesagt sein will, wird frei ausgesprochen und auch für alle sichtbar notiert. Dieser Schritt ist die »Reinigung« (engl. Purge).

»Only after everyone in the group was able to purge, the group can move on.«

Jim Rough, Erfinder von Dynamic Facilitation | Jim@dynamicfacilitation.com

Ist diese Phase überwunden, alles Wichtige an der Wand notiert und der Sprechende fühlt sich gehört, setzt eine Wandlung ein. Aus einer Verwundung, die den Weg zur Problemlösung unmöglich zu machen schien, wird eigenverantwortliches Denken und Handeln. Dieses Dynamic Facilitation Prinzip ebnet den Weg zu gemeinsamen Sichtweisen und gemeinsam getragenen Lösungen. Sie lässt die Gruppe tiefes Vertrauen bilden und ein Gemeinschaftsgefühl aufbauen.

»DF – the most powerful small group process ever. Jim Rough’s Dynamic Facilitation is the most fluid, powerful form of consensus process I know, which also happens to be the process behind the Wisdom Council, the most powerful democratic innovation I know. I highly recommend you learn about it.«

Tom Atlee, Author of »Tao of Democracy«, head of the the »Co-Intelligence Institute«

2012 hatte ich das erste Mal Gelegenheit mit Jim Rough, dem Erfinder von Dynamic Facilitation, ein Interview zu führen. Er ist ein charismatischer, ruhiger Mann, Ende sechzig. Er trägt weiße Turnschuhe, Jeans und ein bordeauxrotes Hemd. Gelassen sitzt er auf einer Ledercouch. Sein Blick ist seitlich an der Kamera vorbei auf mich gerichtet.

In den Neunziger Jahren nimmt Jim einen Beraterjob für eines der großen Sägewerke an der amerikanischen Westküste an. Jim ist beeindruckt von der Güte des Rohstoffes Holz, von der hohen Qualität der Produkte, den Gerätschaften und dem technischen Standard in der Produktion. Dennoch ist das Sägewerk nicht ertragreich. Der Grund ist einfach beschrieben: Die Mitarbeiter sind untereinander heillos zerstritten. Jegliche Beratungstätigkeit scheint fruchtlos zu sein. Inspiriert von den Theorien C.G. Jungs kommt Jim über Nacht eine Idee.

Jim geht davon aus, dass in jedem einzelnen Mitarbeiter des Sägewerkes ein Teil der Antwort auf die Herausforderung, wieder ertragreich zu wirtschaften, steckt. Ausgestattet mit einem individuellen Werteschatz, jahrelanger Erfahrung und vor allem Kreativität sollen die Arbeiter gemeinsam zu einem Ergebnis kommen, das sie wieder in eine erstrebenswerte Zukunft blicken lässt. Es gilt, das Murren und den Missmut, den Neid und die Erstarrung in Aktivität und Verantwortungsbewusstsein um zu wandeln.

In den folgenden Wochen probiert Jim seine neue Methode aus. Ein Dutzend Personen sind zur Teilnahme eingeladen und sollen gemeinsam zum Durchbruch kommen, indem sie Lösungswege die gemeinschaftlich getragen sind, ausarbeiten. Im Sägewerk werden in Folge diverse Maßnahmen gesetzt, die für alle nachvollziehbar sind und allgemein auf Anhieb umgesetzt werden. Denn jedeR Einzelne, egal ob Teilnehmer in der Runde oder nicht, findet sich darin wieder. Das Gespräch mit einer Zufallsauswahl an Teilnehmern scheint für das ganze System von Relevanz zu sein und stößt zudem durchwegs auf positive Resonanz. Dieser Erfolg veranlasst Jim Rough seine Ideen auch auf andere Situationen und Probleme anzuwenden. Die Dynamic Facilitation Methode ist geboren.

Wie funktioniert die Methode im Detail?

Man stelle sich folgendes Setting vor: Eine Gruppe sitzt in einem Halbkreis. Es gibt vier Flipcharts. Auf Flipchart eins werden die Herausforderungen oder Problemstellungen vom Moderator mit notiert. Auf Flipchart zwei haben alle Bedenken Platz. Hier findet das sogenannte »Purging«, die Reinigung statt. JedeR darf hier seinem/ihrem Unmut freien Lauf lassen. In der Regel passiert das in den ersten Stunden einer Runde. Auf einem weiteren Flipchart werden Informationen zum Thema, die vom Moderator aber nicht bewertet oder auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, aufgeschrieben. Auf dem vierten Flipchart stehen die Lösungen. Der Moderation kommt eine herausfordernde Rolle zu. Sie muss dafür sorgen, dass alles auf den Flipcharts landet, so dass sich jede/R Wiederfindet. Dabei ist es wichtig, wachsam beim Gegenüber – bei sich selbst – zu bleiben, um nicht Gefahr zu laufen in Gedanken zur Lösungsfindung abzudriften. Aktives Zuhören und die Wertewelt der anderen unvoreingenommen wahrzunehmen sind Grundregeln des Dynamic Facilitation, die für alle TeilnehmerInnen gelten.

Die wirkliche Öffnung erfolgt dann, wenn die Bedenken formuliert werden konnten und gut sichtbar für alle niedergeschreiben sind. Dann erfolgt die Wandlung und es stellt sich in der Gruppe ein kollektives Verständnis für die Lebensrealität eines jeden Einzelnen ein. Das ist der Moment, in dem es zu einem Durchbruch kommen kann. Jim umschreibt diese Situation, in der das kollektive Denken einsetzt, mit Choice Creating. Eine mögliche Übersetzung dafür ist »Denken in Möglichkeiten«; Es ist jener Moment in dem eine Person eine Lösung formuliert und ein Raunen und Nicken der Anerkennung durch die Gruppe geht….

https://youtu.be/UreGs88uU5w?list=TLGGdgFmfZlxHTYxNDAzMjAyMQ